Hintergrund Pride Parade in Charleston

Veröffentlicht am 31. August 2024 um 12:15

Gale und Jesse gehen gemeinsam mit James, Matt und einigen Dorfbewohnern auf die Pride Parade in Charleston.

Die Pride Parade in Charleston findet traditionell am 1. Juni statt – in diesem Jahr zum 15. Mal. Und obwohl wir hübsche Fotos und Videos davon gesehen haben, die ein fröhliches, buntes Bild vermitteln, wurden dabei auch folgende Dinge klar:
15 Jahre klingen lange und viel, aber dass die erste Pride Parade erst 2009 stattgefunden hat, sagt viel über South Carolina und seine Beziehung zur LGBTQ*-Community aus. Bis 2003 gab es dort den Sodomie-Paragraf, der nie aus dem Gesetz gestrichen, sondern nur durch Bundesrecht überschrieben wurde. Danach brauchte selbst das einigermaßen liberale Charleston sechs Jahre, um eine Parade auf die Beine zu stellen.
Teilgenommen haben nur ein paar hundert Leute, und es gab ein paar tausend Zuschauer. Von einem Großevent war man also sehr weit entfernt.
Das passt zu meinen Recherchen, dass die Zügel nach einer liberalen Phase inzwischen wieder angezogen wurden. Zwar wirbt Charleston gern mit „vielen“ (so viele sind es nun auch wieder nicht) Etablissements, die „LGBT-friendly“ sind. Doch eine „LGBT-friendly“-Location ist etwas völlig anderes als eine „Gay Bar“ (oder „Lesbian Bar“, bzw. Nachtclub etc.).

„LGBT-friendly“ heißt im Grunde: „Wir werfen euch nicht raus, wenn ihr mit eurem gleichgeschlechtlichen Partner kommt.“
Eine „Gay Bar“ hingegen ist ein Safe Space, in dem sich ausschließlich LGBT-Personen treffen, die dort alles machen können, was dieser Safe Space duldet.
Davon gibt es in ganz Charleston derzeit nur noch eine einzige. Entweder ist die Szene wieder im Untergrund verschwunden oder sie findet gar nicht mehr statt, bzw. nur im Rahmen von lau besuchten Pride Paraden und ein paar Events hier und dort.
Ich fürchte fast, es ist Letzteres. Denn wenn ich mir die Organisatoren und die von ihnen beworbenen Events und Institutionen so anschaue, ist das alles ziemlich brav. Das, was man eigentlich unter Szene-Nachtleben versteht, sehe ich nur noch online auf einschlägige Plattformen. Das reduziert sich dann aber auf das Eine. Alles, was sonst noch zum Szeneleben gehört hat, findet wenig bis gar nicht mehr statt.
Nun ist South Carolina ein spezieller Staat, aber ich sehe das schon als allgemeinen Trend. Ein Dilemma. Auf der einen Seite gibt es mehr Akzeptanz und mehr „Normalität“, auf der anderen Seite stirbt damit eine Kultur, die für viele Leute oft wertvoller war als die biologische Familie.

Es ist das, was die radikaleren Strömungen (innerhalb der Community) vor 20, 30 Jahren vorhergesagt haben. Je „normaler“ alles wird, desto mehr verläuft alles in heteronormativen Bahnen (denn „normal“ bedeutet, sich dem vermeintlichen Gros der Gesellschaft anzupassen, nicht, tatsächlich ein Teil von ihr zu werden) und desto mehr vergisst man darüber die Gefahr, wie schnell das alles wieder kippen kann. Schlägt die politische Richtung und die allgemeine Stimmung irgendwann um (und in vielen Ländern droht genau das), wird LGBT rasch wieder auf der Abschlussliste stehen (man schaue sich nur die CSDs in Thüringen und Sachsen an, bei denen am Rand Neonazis aufmarschieren) – und dann ist diese eigene, in sich geschlossene Szene als Halt nicht mehr da.

Wie wenig Teil wir von der Gesellschaft sind, sieht man z. B. an dem „Outing“ von Ralf Schumacher. Dass das zur Sensation gemacht wurde, zeigt, wie wenig „normal“ gleichgeschlechtliche Paare immer noch für die Öffentlichkeit sind. Und wirklich akzeptiert sind sie auch nur dann, wenn sie „in geregelten Verhältnissen“ leben. Dass es im LGBT-Spektrum auch noch zig andere Spielarten und Regelungen gibt, wird ignoriert. Oder es sind weiterhin „Spinner“ oder gar „Perverse“. Puppy-Player zum Beispiel, die sogar teilweise von CSDs ausgeschlossen werden, also von den „eigenen Leuten“, wenn man so will.
In einem echten Szene-Nachtleben mit Etablissements für „spezielles Klientel“ kamen alle diese Spielarten zusammen, und es wurde nicht darüber diskutiert, ob jemand mit Lederfetisch mitmachen darf oder nicht. Der ging allenfalls in eine andere Bar, wo sich mehr „seinesgleichen“ getroffen haben.
Oder mit anderen Worten: Solidarität und (vermeintliche) Akzeptanz haben oftmals einen hohen Preis.

Hinzukommt die zunehmende „Zweckentfremdung“ von CSDs und der Regenbogenfahne. Sicher, wenn es keine Demokratie mehr gibt, werden queere Menschen die ersten Opfer sein, das ist aber kein Grund, Teile der Community vom CSD auszuschließen und dafür Gruppen einzuladen, die für Demokratie und Freiheit protestieren. Auf einem CSD sollte es um queere Themen gehen, denn es ist nicht so, dass es keine mehr gäbe, über die man reden müsste.
Und wenn jeder auf alles einen Regenbogen klebt oder auf anderen Demonstrationen, z. B. auf einer Friedensdemo, mit Regenbogenflagge aufläuft, verliert das Symbol seinen Sinn.
Denn irgendwann wird es wieder um uns gehen. Spätestens dann, wenn queere Menschen feststellen werden, dass sie nicht so gleich sind wie die anderen.

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