Outtake 1

Veröffentlicht am 31. August 2024 um 12:18

Normalerweise ist mit „Outtakes“ etwas Misslungenes gemeint, hier ist es etwas „Herausgenommenes“, weil das Kapitel zu lang war. Ihr werdet diese Stelle also nicht im Buch finden, sondern exklusiv nur hier:

 

Gale trat an den Zaun der vordersten Weide und schnalzte mit der Zunge. Aus einem Hain erklang eine gewieherte Antwort, und kurz darauf kam die Herde auf sie zu. Je nach Temperament und Alter galoppierend, trabend oder gemütlich trottend.

Vorneweg ein eleganter, pechschwarzer Mustang, der sich aufspielte, indem er auf den Zaun zu stürmte und kurz davor abdrehte.

„Das ist Midnight“, stellte Gale vor. „Mein aktuelles Pferd. Er ist – sagen wir – speziell. Die beiden Quarter sind die Pferde für unsere Gäste.“ Er deutete auf den Fuchs und den Braunen, die weitaus ruhiger zum Zaun kamen. „Der Appaloosa ist Duke, mein Senior. Er ist inzwischen über 20 und genießt zusammen mit Tuck das Leben. Das ist der Kaltblüter. Wir haben noch zwei, die sind aber wohl gerade im Wald zum Arbeiten. Und der Esel wird oft mit aufs Feld genommen.“

Matt konnte den Blick nicht von Midnight abwenden. „Was für ein prachtvolles Tier. Der würde mir auch gefallen.“

„Er liebt schwarze Pferde“, erklärte James.

„Ja, weil ich bei meinen Großeltern auf der Ranch auch ein schwarzes Pferd hatte. Außerdem sind Rappen geheimnisvoller und wirken energischer. So wie er.“

Midnight schüttelte den Kopf und schnaubte. Die Nüstern blähten sich auf, als er erneut an den Zaum herankam.

Matt beugte sich über den Zaun und hielt dem Pferd die Hand hin.

Midnight schnupperte kurz in die Richtung, deutete dann ein Schnappen an, drehte wieder ab und trabte geziert davon.

„Sag ja, er ist speziell“, kommentierte Gale trocken. „Inzwischen verstehen wir uns, aber die Allüren wird er wohl nie ablegen. Ich glaube, er ist eine Queen. Ihr freundet euch besser mit Emmett“, das war der Fuchs, „und Beryl an.“

Die beiden Quarter nahmen von sich aus Kontakt auf, indem sie die Nüstern gegen Matts Hand drückten, als wollten sie fragen, ob er einen Leckerbissen mitgebracht hätte.

Matt streichelte Beryl über die weichen Nüstern. „Ich glaube, du und ich, wir werden Freunde, oder?“ Beryl stupste ihn erneut an.

„Ja, eindeutig. Ich nehme ihn.“

James hielt Emmett seine Hand hin, worauf der Fuchs ihm über die Handfläche leckte.

„Und es ist entschieden. James nimmt Emmett“, sagte Matt, während er Beryls Hals tätschelte.

„Ihr passt auch optisch gut zusammen“, fand Gale und begrüßte Duke, der eine Runde schmusen wollte.

„Appaloosa sind unheimlich schöne Pferde!“, schwärmte Matt und tauschte ebenfalls ein paar Zärtlichkeiten mit Duke aus.

„Ich habe ihn geerbt“, erzählte Gale, „und natürlich mitgenommen, als wir nach South Carolina gegangen sind. Jetzt kommt er wirklich in die Jahre und hat allerlei Gebrechen. Noch ist er aber zufrieden mit seinem Leben.“

Schließlich gelang es ihm, Midnight dazu zu überreden, mitzukommen, und sie führten ihn und die beiden Quarter auf den Hof, wo sie sie putzten und sattelten.

Als es ans Aufsteigen ging, wollte James Matt helfen, was der aber ablehnte.

„Geht schon, danke“, sagte er und stellte sich auf die rechte Seite des Pferdes, sodass er mit dem gesunden Bein agieren konnte. Nach ein paar missglückten Anläufen gelang es ihm, sich allein auf Beryls Rücken zu schwingen.

James nahm den lauffaulen Hund mit aufs Pferd, dann konnte es losgehen.

Midnight zickte wie üblich herum und stürmte den beiden Quartern voran, als sie vom Hof ritten und in Richtung Herrenhaus abbogen.

Gale zügelte ihn und ließ Matt und James herankommen.

„Das ist echt der Teufel“, bemerkte Matt.

„Er wurde nicht richtig erzogen und sollte zum Abdecker, weil die Besitzer nicht mit ihm klarkamen“, erklärte Gale. „Was ihre eigene Schuld war. Zwei Mädchen aus dem Dorf haben ihn gerettet, kamen aber auch nicht mit ihm zurecht. Man muss seine Eigenarten akzeptieren und ihn dazu überreden, mit einem zusammenzuarbeiten. Inzwischen geht es einigermaßen. Aber für Reitanfänger ist er immer noch nichts. Erfahrene Reiter haben mehr Glück, aber wenn man nur mal eben einen gemütlichen Ausritt unternehmen will, dauert die Eingewöhnungszeit entschieden zu lange. Wollen wir zur Imkerei oder zur Scheune?“, fragte er das Pferd.

Midnight schnaubte und strebte auf die Abzweigung zu, die zu einer der Brücken führte.

„Imkerei“, übersetzte Gale. „Aus irgendeinem Grund mag er Bienen.“

„Wir hatten auf der Ranch meiner Großeltern mal ein Pferd, das sich nur sehr schwer beschlagen, aufzäumen und satteln ließ. In den Pferdehänger wollte es auch nicht. Und wehe, man wollte ihn am Kopf anfassen. Kopfscheu ohne Ende“, erzählte Matt und lehnte sich locker zurück, sodass Beryl langsamer lief. „Meine Großmutter und ich haben ihn dann so weit trainiert, dass er bis auf das normale Beschlagen mit Hufeisen mit allem klarkam. Der Wallach war zum Ende ein wirklich gutes Westernpferd. Leider brach er sich ein Bein und konnte nicht mehr gerettet werden.“

„Wie schade“, bedauerte Gale. „Die verschiedenen Persönlichkeiten von Tieren fand ich immer schon interessant. Menschen geben sich meistens zu wenig Mühe, sie zu ergründen. Vielleicht, weil sie an den Schwachsinn mit der Krone der Schöpfung glauben. Oder weil Wild- und Nutztiere immer schon als potenzielle Nahrung angesehen wurden und man sich so distanzieren kann. Jedenfalls versuche ich, mir vorzustellen, wie sich die Dinge aus Tiersicht darstellen. Ziegen sind dafür ein gutes Studienobjekt. Jedes Tier hat eine ausgeprägte Persönlichkeit. Wenn ihr mal nicht wisst, was ihr machen sollt, setzt euch einfach auf den Dorfplatz oder in einen der Gärten und guckt den Ziegen zu.“

Matt stimmte Gale zu. „Ist das Gleiche wie mit Hunden. Jerome ist jetzt unser zweiter Hund, und obwohl er Cooper gleicht, ist er ein vollkommen anderes Wesen. James meint, er wäre etwas besonnener, doch ich finde, dass er nicht besonnener, sondern einfach nur anders gestrickt ist. Cooper war ein Golden Retriever, wohingegen Jerome ja ein Terrier ist.“

„Terrier sind Zicken.“ James hielt den Hund fest, der freudig hechelnd die Aussicht genoss, und führte sein Pferd neben Midnight, der daraufhin die Ohren nach hinten legte.

„Pass lieber auf“, ermahnte Gale ihn. „Nicht, dass er sich auf einmal umdreht und dich zwickt.“

„Meinst du, er würde das tun?“, fragte James und nahm wieder etwas Abstand.

„Er ist auch eine Zicke. Außerdem muss er bei den Vorbesitzern schlechte Erfahrungen gemacht haben, und ein paar Verhaltensweisen hat er immer noch nicht abgelegt. Meine Strategie war daher von Anfang an, ihm Raum zu geben und ihm zu beweisen, dass ihm hier nichts passiert. Der Nachteil ist übertriebenes Selbstbewusstsein – was man dann wiederum sanft zügeln muss.“

Sie trabten über die Brücke, und Midnight versuchte, Gales Worten Ausdruck zu verleihen, indem er zu einem übermütigen Galopp ansetzte.

Gale ließ ihn einen Moment laufen und bremste ihn dann ab, um auf James und Matt zu warten. Diesmal reagierte Midnight freundlicher und stupste Emmett an, als wollte er ihn auffordern, ebenfalls Unfug anzustellen.

„Hey, jetzt wird er frech“, sagte James und zog die Zügel an.

„Man sieht, dass du weniger Erfahrung hast“, meinte Matt. „Lass ihn ruhig locker, die beiden werden sich schon nicht zerfleischen.“

James tätschelte Emmetts Hals. „Okay, mein Junge, ich vertraue dir“, sprach er beruhigend auf das Tier ein, welches den Kopf lässig herunterhängen ließ und weiter trottete.

„Emmett ist ein gutmütiger Geselle“, sagte Gale. „Er lässt sich von Midnight auch nicht beeindrucken. Bei ihm und Beryl haben wir vor allem auf den ausgeglichenen Charakter geachtet, weil sie es mit Gästen und Anfängern zu tun haben. Was keine Kritik an euren Reitkünsten darstellen soll. Es ist schlicht praktischer, sich mit Fahrrädern und Rollern auf der Farm zu bewegen, weshalb Reitpferde eher ein Hobby darstellen. Dann sind da noch die Clydesdales, die wir bei der Arbeit im Wald einsetzen. Das ist natürlicher, als alles mit Maschinen plattzumachen.“

„Oh, glaub mir, Gale, ich würde mich auch auf Midnight wagen, wäre da nicht die Prothese. Ich liebe schwierige Pferde“, sagte Matt, was ihm einen zweideutigen Blick von James eintrug.

„Mhm, ich weiß, wovon du redest.“

 

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